16
Jun

Die Welt ist komplex, sagt man. Aber warum ist das so? Muss das so sein? Wie kann ich selbst mit echter und scheinbarer Komplexität umgehen? Wann ist Komplexität echt? Habe ich die Komplexität an manchen Stellen selbst erschaffen? Warum fällt der Umgang damit manchen Menschen leichter und anderen wiederum schwerer? Kann ich Komplexität reduzieren oder gar vermeiden? Geht das? Wenn ja, wie?

Veränderung, die zu belastender Komplexität führen kann, findet im Kleinen, wie im Großen statt. Im Inneren und im Äußeren. Veränderung verlangt nach einer für uns passenden und stimmigen Antwort unsererseits. Grundlegend möchten wir alle unser Leben positiv gestalten. Das Leben stellt uns eine Aufgabe und wir antworten darauf mit einer Entscheidung, Tat, Lösung.
Das ist „Ver-Antwortung“. Dies zu tun erfordert eine gewisse Flexibilität. Diesen Prozess des Antwortens in Windeseile zu beherrschen ist schick und modern geworden. „Schneller, höher, weiter,…“, „Ist doch ganz einfach…“, „Mach doch einfach…“. Aber ist die flexible, schnelle, einfache Antwort die für uns passende und stimmige? Was genau führt uns zur passenden Antwort? Was passiert, wenn wir mehr auf unsere innere Stimme hören? Was passiert, wenn wir uns wieder mehr vertrauen? Ich möchte dazu ein Erlebnis schildern:

Ich traf im vergangenen Winter einen Künstler auf einem Markt in einer großen Stadt, der seine selbstgefertigten Bronzefiguren an seinem Stand verkaufte und diese auch direkt vor Ort mit einem schweren Lötbrenner und einer aufwändigen Halterung, mit hoher Fachwerkskunst, fertigte. Viele Besucher des Marktes waren interessiert und blieben in der Nähe dieses Standes stehen, um das Herstellen und die ausgestellten Figuren aus der Nähe oder auch respektablen Entfernung zu begutachten. So auch meine Frau und ich.
Wir kamen mit dem Künstler ins Gespräch und an den Punkt als meine Frau ihn freundlich fragte,
ob man denn von dieser Arbeit leben könne. Darauf gab es eine abrupte Pause und ein betretenes Schweigen trat ein. Wir wunderten uns, denn die Frage schien eine einfache, wenn auch etwas vertraulich, zu sein und die Erwartung eines Neins unsererseits war groß. Ging unsere Frage zu weit?
Der Künstler legte sein Werkzeug zur Seite und unterbrach die Pause, indem er mit einem nachdenklichen Gesicht sagte: „es ist erstaunlich, dass sie dies fragen, denn diese Frage kam schon sehr lange nicht. Wahrscheinlich schon Jahre nicht. Früher kam diese Frage sehr oft. Ich möchte ihnen davon erzählen.“
Er fuhr fort: „Ja, ich kann mittlerweile davon leben. Es geht ganz gut und ich kann es mir erlauben nur noch auf zwei große Märkte im Jahr zu fahren. Ansonsten verkaufe ich die Figuren zuhause in den Bergen in meinem Haus und die Ausstellung dort ist auch immer nur kurz geöffnet. Teilweise auch nur auf Anfrage. Dennoch läuft das Geschäft prima und ich muss jetzt viel weniger reisen.
Anfangs war das ganz und gar nicht so. Ich ging auf viele Märkte, hatte dadurch viel Stress und kümmerte mich sehr, ob die Einnahmen stimmen werden und ich wirklich von diesem Betätigungsfeld leben könnte. Es war mein grosser Wunsch dies schnellstmöglich zu erreichen. Eine andere Tätigkeit interessierte mich schlicht nicht mehr.
Tauchten Kunden am Stand auf, hielt ich es fast nicht mehr aus, zuzusehen wie sie weiterzogen ohne zu Kaufen. Dann kamen schon die nächsten und wieder nichts. Ich überlegte, was könnte ich tun, um den Umsatz anzukurbeln und verwarf dann auch schon wieder vieles. Brauchte ich ein besseres Werbekonzept oder brauchte ich gar gänzlich andere Produkte? Die Fertigung der Bronzefiguren ist nicht gerade einfach und handwerklich sehr aufwändig. Häufig gehen beim Bearbeiten dann auch Figuren kaputt und das teure Material muss dann entsorgt werden, da es nicht weiter verarbeitbar ist. Aber ich bin von ganzem Herzen Künstler und von diesen Bronzefiguren vollständig überzeugt und es gibt nur wenige, die diesen Prozess des Herstellens beherrschen. Ich dachte damals: „Oh, je! Wie wird sich das nur entwickeln?“

Erst an dem Punkt als ich die Nervosität und Belastung bezüglich des Verkaufserfolges am Stand nicht mehr aushalten konnte, entschied ich mich, meine Gerätschaften einfach mitzunehmen und direkt vor Ort, am Stand, einen Großteil der Figuren herzustellen. Direkt vor den Kunden. Somit war ich selbst abgelenkt und die Dinge konnten ohne meine stark belastende Nervosität ihren Lauf nehmen.
Und just von diesem Tage an lief der Verkauf schlagartig besser. Die Leute kamen näher, blieben länger, schauten mir beim Löten zu und mit vielen kam ich dadurch ganz entspannt in ein Gespräch. Die Umsätze stiegen wie von selbst und ich konnte mich am Ende nur noch auf einige wenige Märkte im Jahr konzentrieren und ansonsten von zuhause aus agieren. Jetzt habe ich viel mehr Zeit und kann mich endlich auch wieder meinen geliebten Hobbies widmen“.
Der Künstler grinste uns zufrieden an und nahm seine Arbeit wieder auf während wir noch nachdenklich und gleichzeitig erfreut über das Gesagte nachsannen und nach einigen Fotos, die wir noch machen durften, dann dankend verabschiedeten.

Ziele brauchen Aufmerksamkeit und damit Energie, um zur Blüte zu gelangen. Es benötigt Überzeugtheit von dem was man tut und die nötige Kompetenz und Konsequenz. Ist dies jedoch erreicht und gegeben, gilt es ab einem gewissen Punkt, dem Ganzen zu vertrauen und dann ein stückweit für das Gelingen loszulassen. Das richtige Mass ist dabei entscheidend. In diesem Sinne ist dann häufig weniger mehr. Meist wissen wir ganz genau was es braucht, wenn wir nach innen horchen und nicht in Aktionismus verfallen. Können wir dieses Vertrauen entwickeln, geschehen die passenden und stimmigen Dinge dann meist wie von selbst.

Sollte das angepeilte Ziel sich am Ende dennoch nicht erreichen lassen, gilt es auch dann die Verantwortung zu übernehmen und gegebenenfalls in eine leicht angepasste Richtung zu agieren. Möglicherweise war der Weg dann (noch) nicht der richtige für uns und es gibt andere Wege, die wir nur noch nicht gefunden haben. Wenn wir bei der Antwortfindung bewusst nach innen hören und uns wieder selbst vertrauen sind wir auf dem für uns jetzt richtigen Weg.