19
Jul

Nützliche Fähigkeiten

Der Gewinn könnte eine Bereicherung an unterschiedlichen Fähigkeiten und Eigenschaften sein, die in der Komfortzone einfacher Problemlösung nur allzu schnell verkümmern. Auch anders herum: Was müsste denn an diese Stelle treten? Untersuchungen haben gezeigt, dass vor allem die folgenden Eigenschaften für den Umgang mit Komplexität hilfreich sind[1]:

Aber wer hat das alles?

All diese Eigenschaften können sich in den unterschiedlichsten Bildern bündeln: Es könnte ein Raubtier sein, etwa ein Bär oder eine Katze. Auch ein Jäger auf Nahrungssuche käme in Frage oder ein Krieger oder ein Dieb, Nicht ganz so aggressiv wäre der Boxer oder der Fechter. Ein Scout, der den Weg durch unbekanntes Gelände sucht, oder der Forscher, der sucht, wo noch niemand vor ihm war. Die alleinerziehende Mutter, die ihre Kinder  großziehen und versorgen muss. Der Surfer, der mit Leidenschaft und Begeisterung die einzigartigen Bedingungen der Welle nutzt.

Wichtig ist, dass dieses Bild bei der Vertragsgestaltung ankoppelungsfähig ist, denn dann hätten Sie den wichtigsten Schritt geschafft: Sie hätten ein sogenanntes unspezifisches Haltungsziel vereinbart. Unspezifische Haltungsziele sind im Gegensatz zu SMARTen Zielen eher allgemein, situationsübergreifend und beziehen sich auf die eigene innere Verfassung; es sind Lebensziele, die wegen ihrer Emotionalität als sehr viel stärker zum eigenen Selbst gehörend empfunden werden.[2]

In einem Haltungsziel können sich die unterschiedlichsten Eigenschaften bündeln (auch sich widersprechende). Damit erfüllen sie selbst schon eine weitere wichtige Anforderung an den Umgang mit Komplexität: Das Aushalten-Können von Widersprüchen. Manchmal ist es eben sinnvoll schnell zu ein, manchmal ist es sinnvoll nichts zu tun. Mal ist Mut gefragt, mal Demut.

Darüber hinaus verbinden sich im Haltungsziel noch zwei weitere gegensätzliche Eigenschaften. Einerseits sind sie nämlich sehr unspezifisch – also nicht auf eine konkrete Situation bezogen – und geben nur eine ungefähre Orientierung. Andererseits beschreiben sie durch ihre Bildhaftigkeit etwas, das sich unmittelbar nachvollziehen lässt: Egal, ob Ihr Bild  Katze, Mutter oder Surfer ist, Sie haben sofort ein klares Bild vor Augen. Und genau das ist der wesentliche Punkt. Bilder wirken unmittelbar und sind gleichzeitig hochpräzise, bei aller Komplexität des Inhaltes.

Darin besteht ihre Überlegenheit gegenüber SMARTen Zielen in komplexen Situationen. Sie nutzen unsere emotionale Energie, indem sie sich unmittelbar an unser limbisches System wenden (genauer: an die Amygdala und an unser Belohnungssystem[3]). Im Gegensatz zu unserer bewussten und damit sehr langsamen Problembehandlung arbeiten diese Regionen mit extrem hoher Schnelligkeit und recht frei von Logik. In den Fällen, in denen Logik unabdingbar notwendig ist (z. B. beim Berechnen von Exponentialfunktionen) kann diese Schnelligkeit problematisch sein und Annahmen verfälschen. Andererseits besteht darin eine große Chance. Widersprüche sind für Amygdala und Belohnungssystem nicht nur kein Problem, sie fördern sogar noch unsere Kreativität. Es entstehen Bilder, die für unsere Logik inakzeptabel sind, dafür aber unbewusste Lösungswege ebnen. Das Traumbild einer sich in den Schwanz beißenden Schlange gehört nicht zu unserer prüfbaren Alltagswirklichkeit, ist aber für August Kekulé ein guter Ausganspunkt gewesen, um über die Struktur des Benzolrings nachzudenken. Dadurch geben sie uns sehr viel mehr Kraft und Ausdauer als ein rein verstandesmäßig formuliertes SMART-Ziel, das aus sich heraus schon Weg und Mittel eingrenzt, uns in unserem Handeln eher beschränkt als dass es den kreativen Problemlösungsprozess fördert.

Haltungsziele haben eine mehrfache Funktion. Sie bilden ein lohnendes Ziel (im Sinne des polynesischen Segelns). Außerdem sind sie sehr gut geeignet für den Umgang mit Komplexität (indem sie Widersprüche kombinieren statt sie aufzulösen). Zusätzlich können sie nützliche Eigenschaften in komplexen Situationen leichter abrufbar machen.

Eine der wesentlichen Herausforderungen dürfte es nun sein, mit Ihren Auftraggebern zu einer solchen Zielvereinbarung zu kommen. Wichtig dabei ist, wie gesagt, dass dieses Ziel auch zur Unternehmenskultur passt, dass die Beteiligten sich damit unmittelbar identifizieren können. Wenn Sie diese Hürde genommen haben, ist der nächste Schritt wesentlich einfacher. Nun sollten Sie die Frage nach den Inhalten des Seminars klären. Denn wenn sich Tools wie Kepner-Tregoe oder Consideo nur als bedingt hilfreich erweisen, was dann? Es ist die Fähigkeit zur unbewussten Kognition. Das hört sich für viele Menschen deutlich zustimmungsfähiger an als „Intuition“.

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[1] Z. B. Dietrich Dörner: Die Logik des Mißlingens. Strategisches Denken in komplexen Situationen, Hamburg 2000, S. 275ff. Siehe dazu auch: Maja Storch: Das Geheimnis kluger Entscheidungen. Von Bauchgefühl und Körpersignalen. München, Zürich 2011.

[2] Dazu beispielsweise Maja Storch et al: Embodiment. Die Wechselwirkung von Körper und Psyche verstehen und nutzen. Bern 2011. S. 133ff.

[3] Siehe dazu: Gerhard Roth, Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten. Warum es so schwierig ist, sich und andere zu ändern. Stuttgart 2007.