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Mrz

Quelle: SpiegelOnline Gesundheit
https://www.spiegel.de/spiegelwissen/coaching-und-therapien-hilfe-aus-der-krise-a-1020840.html
Von Karin Zintz-Volbracht

Wie steckt man eine Niederlage weg? Wie gelingt der Neubeginn? Für Gescheiterte, Gekündigte oder Getrennte gibt es viele Hilfsangebote.

Fallen. Wieder aufstehen. Und dann schnell eine Erfolgsstory vom “gescheiten Scheitern” erzählen: Nur wenigen Menschen gelingt das. Viele sind nach Misserfolgen und geplatzten Träumen erst mal richtig am Boden und kämpfen damit, Gedanken und Gefühle in den Griff zu bekommen.

Wer heute scheitert, steht sozial gewaltig unter Druck. Niederlagen gelten quasi nur noch als Vorlauf für einen glanzvollen Neubeginn. Für Petra Bock, Coach und Bestseller-Autorin (“Mindfuck”) aus Berlin, ist diese Haltung eine Form von übermotivierter Selbstsabotage. “Das ist die unmenschliche Ideologie der Selbstoptimierer. Man kann sein Leben nicht permanent kontrollieren und beherrschen, weil man ja gar nicht alles unter Kontrolle hat.”

Angriff oder Flucht

Es gibt viele Hilfsangebote für Gescheiterte, Gekündigte, Getrennte, Gestolperte. Um aber zu verstehen, welche Art von externer Hilfe und Selbstfürsorge zu welchem Zeitpunkt nützlich ist, lohnt ein Blick auf Erkenntnisse der Hirnforschung. Neurowissenschaftler konnten nachweisen, dass das Gehirn in akuten Stresssituationen in einen evolutionär herausgebildeten Alarmmodus fällt.

“Das ist dann wie beim Neandertaler, der vom Säbelzahntiger überrascht wird “, sagt der Hamburger Psychologe und Managementberater Peter Pächnatz. “Man reagiert in großer Angst ganz aus dem emotionalen Zentrum heraus. Und da gibt es im Prinzip nur drei Möglichkeiten: Angriff im Sinne von Aggression, Erstarrung wie in der Depression oder die Flucht.”

Bei extremem Stress, der länger anhält, blockieren Hormone die Zusammenarbeit verschiedener Gehirnregionen. Das kann dazu führen, dass bestehende neuronale Netze, die für die Stressbewältigung nicht gebraucht werden, aufgelöst werden. Für das Gehirn gilt dann: “Wegen Umbau geschlossen!” Es kann zu Gedächtnisstörungen kommen, der Mensch kann nicht mehr auf bestimmte alte Verhaltensmuster zurückgreifen. Pächnatz, Mitglied der Neurowissenschaftlichen Akademie für Bildungsmanagement, spricht von “neuroplastischen Veränderungen in großem Stil. Da passiert richtig was”.

Dieser Abbau alter Nervenverbindungen kann beim Neuanfang helfen. “Etwas ganz Neues zu lernen ist leichter als Umlernen”, meint Pächter. Je konkreter und achtsamer die Umstellungen im Lebens- und Arbeitskontext gestaltet und erfahren würden, desto leichter falle der Neuanfang. Wenn dazu noch echte Begeisterung für neue Ziele komme, könnten auch tiefgreifende Veränderungen gelingen.

Nur funktioniert das Umdenken, Lernen und veränderte Fühlen nicht auf Knopfdruck. Es gebe Phasen, die durchlaufen werden müssen, um wieder “auf Augenhöhe mit dem Leben zu kommen”, wie es Hans-Peter Unger formuliert. Der Chefarzt im Zentrum für Seelische Gesundheit der Asklepios Klinik in Hamburg-Harburg arbeitet mit seinen Patienten daran, die Selbststeuerung und Handlungsfähigkeit Schritt für Schritt zurückzugewinnen. Er setzt dabei unter anderem auf Gesprächstherapie, die Stärkung der Selbstfürsorge, Entspannungs- und Achtsamkeitstraining.

“Da ist etwas in mir innerlich zerrissen.”

Jennifer Stock (Name von der Red. geändert) hat die Schockstarre und die Phasen des Neubeginns durchlebt: Jahrelang stellte sie als Vertriebsleiterin einer großen Firma private Bedürfnisse zurück, arbeitete 60 Stunden die Woche – bis sie sich ausgebrannt fühlte.

Sie fand den Mut, mit ihrem Chef darüber zu sprechen. Dessen Reaktion: “Wenn Sie nicht mehr können, denken Sie doch mal über einen ruhigeren Job nach.” Dieser Satz, so ganz ohne Verständnis und Wertschätzung, war für die heute 42-Jährige “eine Backpfeife und ein Tritt in den Bauch zugleich”. Sie hatte das Gefühl: “Da ist etwas in mir innerlich zerrissen.” Sie ging nach Hause und legte sich ins Bett. Am nächsten Morgen konnte sie nicht aufstehen und meldete sich krank. In ihre alte Firma ist sie nie mehr zurückgekehrt.

Es dauerte ein Jahr, bis Jennifer Stock das Gefühl hatte, wieder auf Augenhöhe mit dem Leben zu sein. Sie nahm sich Zeit für den Prozess, sich neu zu erfinden. Massagen gehörten dazu, Spaziergänge, was immer ihr gut tat. Eine Woche am Meer. Tagebuch schreiben. “Ich kannte mich gar nicht mehr. Ich brauchte Zeit, um mich überhaupt wieder zu spüren und das Leben zu fühlen.”

Sich neu orientieren

Sie suchte sich einen Therapeuten, die Kosten übernahm die Krankenkasse. Doch der Druck durch die strenge zeitliche Taktung der Gespräche gefiel ihr nicht. Sie konnte schon wieder klarer denken und hatte das Gefühl, sich jetzt mit ihrer Zukunft beschäftigen zu können. Ein privat bezahlter Coach konzentrierte sich nicht auf ihre Probleme, sondern auf ihre Möglichkeiten. Sie orientierte sich wirklich neu und hatte das Gefühl: Es funktioniert.

“Reden hilft, na klar”, sagt Jennifer Stock heute. “Doch mit einem kleinen Vorbehalt.” Es komme sehr darauf an, wie Freunde, Familie, Therapeuten oder Berater reagieren. Sätze, die mit “Du musst”, “Du sollst” oder “Mach doch einfach mal” beginnen, habe sie irgendwann nicht mehr hören wollen. Geholfen hätten Gespräche mit Menschen, die zuhören, mitfühlen und akzeptieren, dass sie einen Weg aus dem Tief in ihrem eigenen Tempo finden muss.

Verstanden werden, sich akzeptiert fühlen

Einfach zuhören – darin sind die ehrenamtlichen Mitarbeiter der Telefonseelsorge, die in Deutschland von den beiden großen christlichen Kirchen betrieben wird, geschult. “Anrufen, verstanden werden, sich in seiner Welt akzeptiert fühlen”, so beschreibt Michael Hillenkamp die Wirksamkeit der anonymen Hilfe. Hillenkamp arbeitet seit über 20 Jahren als katholischer Theologe und Diplompädagoge bei der Telefonseelsorge in Dortmund. Ratgeber sind die Gesprächspartner allerdings nicht. “Unsere Mitarbeiter geben keine Tipps, sie entwickeln auch keine eigenen Ideen.”

Über das einfühlende Gespräch hinaus bietet die strukturierte Arbeit mit einem Coach oder Therapeuten ganz andere Möglichkeiten. Johanna Müller-Ebert arbeitet als Therapeutin, Coach und Autorin (“Wie Neues gelingt”). Sie mag das Wort “Scheitern” nicht: “Das versetzt einen sofort in eine Problemtrance. Ich spreche lieber darüber, dass etwas nicht gelingt.” Sowohl Therapie als auch Coaching verhindern ihrer Ansicht nach die “Chronifizierung von Krisenhandeln”. Es gehe immer darum, den Schalter umzulegen und Alternativen zu finden, damit das Leben mit all seinen Herausforderungen, Freuden und Leiden wieder aktiv gelebt werden kann.

Neue Möglichkeiten, neue Ziele

“Wer bin ich jetzt? Wer will ich sein?” Das sind für Müller-Ebert die zentralen Fragen sowohl im psychotherapeutischen Gespräch als auch im Coaching. Und wo liegt der Unterschied? “In der Therapie wird eine Akutkrise bearbeitet, die den Schwerpunkt im Gefühlsleben hat. Um wieder handlungsfähig zu werden, geht es auch um ungelöste frühere Konflikte, die einen Menschen in der Gegenwart blockieren. Es stehen also eher die Probleme und deren Bearbeitung im Fokus”, erklärt Müller-Ebert. Beim Coaching ist der Ansatz eher direkt lösungsorientiert. Es geht darum, neue Möglichkeiten zu denken und durchzuspielen, Ziele zu finden und die passende Strategie zu entwickeln, um diese Zukunftsvisionen zu erreichen.

Wenn sie coacht, macht die Veränderungsexpertin Petra Bock gern Tabula rasa mit Bestehendem, Gewohnten. “Wenn etwas wirklich richtig schiefgelaufen ist, muss ich etwas Neues aufbauen und mich von falschen Zielen verabschieden”, sagt sie. In ihren Büchern nimmt sie sich “unbewusste Denkmuster” vor, die dazu führen, dass Menschen sich selbst das Leben schwer machen. Auch sie lädt ihre Klienten in einer Phase großer Veränderungen zum Nachdenken über Grundsatzfragen ein: “Was passiert in deinem Leben? Welche Muster stecken dahinter? Wie wäre dein Leben, wenn es richtig gut wäre?”

Das intensive Nachdenken und die Arbeit mit bestimmten Lösungsmodellen im Coaching geben den Menschen das Gefühl, auch in einer Krise handlungsfähig zu sein, klar denken und analysieren zu können. “Handlungsfähigkeit bringt das Gefühl von Selbstwirksamkeit zurück. Und das holt uns aus der Spirale der sinkenden Selbstachtung und des verlorenen Selbstwertgefühls”, sagt Bock.

Sich wieder spüren

Die Grenzen zwischen Coaching und Therapie verlaufen manchmal fließend. Doch spätestens wenn der Krisenstress zu schweren körperlichen Symptomen oder einer Depression führt, ist eine Therapie das Mittel der Wahl. “In so einer Situation habe ich keine Kontrolle mehr. Da kann ich kein neues Verhalten aufbauen”, sagt der Psychiater Hans-Peter Unger. Im Hamburger Zentrum für Seelische Gesundheit setzt er neben Psychotherapie auf “Mindfulness Based Stress Reduction”, also auf Achtsamkeitstraining durch Yoga, Meditation, Entspannungstechniken.

“Die Menschen müssen sich selbst erst wieder wahrnehmen und spüren”, sagt Unger. Manche Patienten erleben die Meditations- und Achtsamkeitsroutine zuerst nur als lästige Übung. “Doch dann merken sie, dass das etwas Gutes mit ihnen macht und sie von der verzweifelten Autopilotsteuerung wieder zu einer Selbststeuerung kommen.”

Achtsamkeit verhelfe auch zu einem besseren Umgang mit dem größten Stressfaktor für Menschen in Krisen: Für Unger ist das “die Beurteilung durch andere”. Um dem Sozialstress zu begegnen, brauche es noch eine andere Zutat beim Neustart. Das sei die Geschichte, die ein Mensch nach der Krise über diese Zeit seines Lebens erzählt. Auch hier gilt: Anerkennen, was passiert ist. Raus aus dem Opferdenken und positiv auf das blicken, was man gelernt hat. Unger weiß, dass Erlebnisse des Scheiterns nicht immer zu einem besseren, erfolgreicheren Leben führen. “Aber es ist viel gewonnen”, sagt der Arzt, “wenn wir das Gefühl bekommen, dass wir uns die Welt auch in schwierigen Situationen erklären und davon überzeugt sind, das Leben durch die eigene Kraft gut bewältigen zu können.”